Heute liegt alles offen. Alles scheint zur Besichtigung freigegeben: Der Todesstreifen, die zertrümmerten Wachtürme, die geheimen Verschlusssachen. Im Januar 1990 treffen sich drei Filmemacher aus Ost und West. Jeder von ihnen war auf seine Weise in die Ereignisse nach dem 9. November 1989 verstrickt, mitgerissen vom Tempo der Geschichte, von den Bildern der aktuellen Medien fast erstickt. Diesem Tempo der Zeitgeschichte einen Film entgegenzustellen, der die Erinnerung festhält, war gemeinsamer Ausgangspunkt für den Film EIN SCHMALES STÜCK DEUTSCHLAND.
Joachim Tschirner: Als am 1. September die Schule begann, war die Mauer 18 Tage alt. Die Soldaten vor unserem Haus, die wir heimlich aus unserem Kinderzimmer fotografierten, verteidigten unsere Interessen, sagten Lehrer und Eltern. Und ich bin überzeugt, sie glaubten es.
Lew Hohmann: In unserem Pionierleben gab es noch keine Mauer, aber es gab den Klassenfeind und die Gewißheit, dass im Kommunismus das Geld abgeschafft wird. Wir hörten Jerry Cotton und Rockn Roll. In Halle war der Westen so weit weg wie Amerika.
Klaus Salge: Als ich zum ersten Mal aus dem Westen nach Berlin kam, stand die Mauer ein Jahr. Meine Lehrer waren Anti-Kommunisten und zeigten manchmal KZ-Filme. Das wars.
Da entstehen Sätze, die ein genialer Autor nicht besser erfinden könnte: "Wir waren immer still", wiederholt eine Mutter zutiefst erschüttert und verunsichert an die zehn Mal: Ihr Sohn wurde bei einem Fluchtversuch an der deutsch-deutschen Grenze angeschossen und wäre beinahe verblutet. Um der Brutalität auch noch die Krone aufzusetzen, forderten die DDR-Behörden von den Eltern 5000 Mark Schadenersatz "für den beschädigten Grenzzaun". So eingebettet, verschaffen die beeindruckenden, mit durchaus ästhetisierendem Blick aufgenommenen Bilder vom Abbruch der Wachtürme dem Zuschauer echte Erleichterung. Man beobachtet, wie erstaunlich leicht sich diese Symbole der Gefangenschaft umreißen ließen, und man denkt, wie lange es dennoch gedauert hat, bis es soweit war...
Münchner Merkur, 6.4.1991 |
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